Vom Leben auf der Alm – Teil 3

Ein Almsommer in den Chiemgauer Alpen

Sanft geschwungene Almwiesen, kühle Bergwälder und felsige Gipfel – im Laufe der Jahrhunderte ist in den Chiemgauer Alpen nicht nur eine einzigartige Natur-, sondern auch Kulturlandschaft entstanden. Noch heute prägt die Chiemgauer Alpen ein Miteinander von Mensch und Natur. Der Almsommer ist auch für Simon etwas ganz Besonderes. Er erzählt uns vom Leben in den Bergen, vom Sommer auf der Alm.

Fotos: Carina Pilz

Almabtrieb in den Chiemgauer Alpen

Der mit Abstand schönste, emotionalste, aber auch anstrengendste Tag im Jahr ist für Simon der Tag des Almabtriebs, das feierliche Ende des Almsommers. Trotz der wochenlangen Vorbereitung auf diesen besonderen Tag im Spätsommer ist auch beim letzten ‚auf d‘Nacht‘ noch einiges zu tun, damit am nächsten Morgen alles griffbereit steht. Simon steckt die Buschen ins Halfter, richtet die Glocken zusammen und legt in der Kammer alles bereit. Letzte, prüfende Blicke wandern über die in mühsamer Handarbeit gefertigten Schmuckstücke, bevor der Abend und mit ihm der Sommer auf der Alm in stimmungsvoller Runde langsam ausklingt. Derweil rauscht eine Achterbahn der Gefühle durch Simon. Nervosität, Anspannung, Aufregung, Vorfreude. Eine Mischung, die den sonst so gestandenen jungen Mann kaum zur Ruhe kommen lässt. „In dieser Nacht schlafe ich, wenn es gut geht, vielleicht ein, zwei Stunden. Da bin ich so aufgeregt, das ist der Wahnsinn.“

Der letzte Tag des Almsommers

Noch in der Dunkelheit steht Simon wieder auf und richtet draußen die ersten Dinge her, während die anderen in der Hütte noch tief und fest schlafen. Ein letztes Mal für diesen Sommer genießt er ganz für sich allein die einzigartige Ruhe der Morgendämmerung auf der Alm. „Dieses Gefühl in der Früh, wenn du vor die Hütte rausgehst, die Sonne langsam aufgeht und herüber leuchtet und du das Geläute der Tiere hörst – das ist es. Das kannst du nicht beschreiben, das musst du erleben.“ Wenn dann die ersten Sonnenstrahlen die Almwiesen erleuchten, ist auch das Wasser heiß, das Simon aufgesetzt hat. Er richtet Kaffee und Frühstück her, lässt sich eine kleine Wanne voll Wasser laufen und bürstet noch einmal alle Glocken für ihren großen Auftritt.

Nach und nach stehen auch die anderen auf, die Vorderen Dalsenalm im Chiemgauer Achental erwacht zum Leben. Schließlich werden die kunstvollen Buschen vor den Almhütten aufgestellt und von den ersten vorbeikommenden Besuchern bewundert. Vorfreude, aber auch Anspannung liegen nun für jeden spürbar in der Luft. Langsam ruft Simon die Tiere zur Hütte, wo sie angebunden und die kleinen Glocken abgenommen werden. Mittlerweile sind auch die restlichen Treiber an der Alm eingetroffen und helfen bei den finalen Vorbereitungen. Kurz darauf macht sich Simon auf zu den anderen Almbauern der Vorderen Dalsenalmen. Drei Kaser stehen heute noch auf der Almfläche. Früher waren es einmal fast ein Dutzend. An jeder Hüttentüre wird der festlichte Almschmuck bewundert und gemeinsam ein Schnaps auf das gute Hinunterkommen getrunken.

Zurück ins Tal

Dann geht es Schlag auf Schlag: Im Halbstundentakt treten Mensch und Tier, Kaser für Kaser von freudigen Juchzern begleitet den Weg ins Tal an. Simons Familie geht aufgrund der Ochsen meist als Letztes. „Sobald der Zweite die Viecher auslasst, geht bei uns das Kranzen an“, erklärt Simon. In Zweierpartien wird das Vieh zügig geschmückt. Es herrscht höchste Konzentration. „Da darf einfach nichts passieren.“, beharrt Simon. Wochenlange Arbeit, viel Schweiß und Mühe und eine unglaubliche Liebe zum Detail stecken in jedem einzelnen Räsein, in jedem einzelnen Buschen. „Da ist schnell mal etwas abgebrochen, die Viecher können sich in der Kette verheddern oder wer weiß was. Mein Puls erreicht in diesen zwanzig, dreißig Minuten seinen Höchststand.“ Es ist ein kleiner Wettlauf gegen die Zeit, denn die Tiere dürfen nicht zu ruhig werden. Haben sie sich einmal hingelegt, sind sie nur schwer wieder auf die Beine zu bringen.

Sind alle Tiere aufgekranzt, kommt Simon mit seinen Helfern noch einmal zusammen. Jeder bekommt seinen Platz zugewiesen, ein obligatorischer Schnaps aufs einen guten Abtrieb wird getrunken und schließlich ein Vaterunser gebetet. Traditionell werden auch die Treiber geweiht. Jetzt zählt es. Die ersten Meter des Almabtriebs sind für alle Beteiligten die nervenaufreibendsten. Sie sind die entscheidenden Meter. „Das Stück hinunter bis zum Weiderost ist sehr weitläufig. Auf dem ganzen Anger verteilt stehen die Treiber, um die Tiere in die richtige Richtung zu lenken.“ Sobald Simon seine Stellung bezogen hat, um die Tiere zu rufen, wird oben das erste Vieh abgehängt. Es geht los. Simon zählt sofort die Tiere durch. „Sobald das letzte Vieh und der letzte Treiber über den Weiderost gegangen sind, fällt mir ein riesengroßer Stein von Herzen. Ab und zu, da drückt es mir sogar eine Träne heraus, vor lauter Freude. Da bin ich einfach so erleichtert.“ Die Anspannung der letzten Tage löst sich nun Schritt für Schritt und schwenkt um in pure Freude.

Freude und Trauer zugleich

Bald kommen die ersten Häuser des Dorfes in Sicht. An den Straßenrändern haben sich Freunde und Bekannte versammelt, um Mensch und Tier willkommen zu heißen. Juchzend wird unter dem Gehen miteinander angestoßen. „Das ist eine unheimliche Mischung an Gefühlen, die man an diesem Tag durchlebt. Wenn ich das prächtige Vieh neben mir gehen sehe, mit seinen wunderschönen Buschen, die Krone, das elegante und majestätische Auftreten, dieses Bild ist einfach absolut überwältigend. Dennoch macht sich zur gleichen Zeit auch ein erster Anflug von Trauer breit. Trauer darüber, dass es gleich vorbei ist. Je näher wir nach Hause kommen, steigt Stück für Stück noch einmal die Nervosität. An der Kreuzung, wenn wir ins Dorf einbiegen, da weiß ich, dass gleich Mama und Papa vor der Haustüre auf uns warten. Die beiden bekommen von den letzten Vorbereitungen, dem Aufkranzen, dem Abtrieb nichts mit und sind mindestens genauso aufgeregt wie ich. Wenn wir dann auf den Hof zugehen und die Blicke sich treffen, das ist ein so ergreifender Moment. Wenn ich sehe, wie sie sich in den Armen halten und mit uns freuen, da könnte ich platzen vor Stolz. Da bin ich einfach nur überglücklich, weil alles gut gelaufen ist.“

Abschied vom Almsommer

Wenn die Tiere die Talweide erreicht haben, fällt alle Last von Simon ab und die Erleichterung macht sich breit. Freudestrahlend liegen sich Familie und Freunde in den Armen und stoßen darauf an, dass alles gut gegangen ist. Es wird geratscht und bewundert, über die schönsten Buschen debattiert und fotografiert. Die Tiere kommen derweil zur Ruhe und genießen das frische Gras der Talweide. Schließlich geht es ans Abkranzen. „Wenn ich mir die Glocken über die Schulter werfe und die abgeschnittenen Buschen von der Weide trage – das ist wie ein letzter, kleiner Abschied vom Almsommer“, sagt Simon ein wenig traurig. „Schön war’s.“

Als Erinnerung bekommt jeder Treiber einen kleinen Buschen, die älteren Verwandten werden mit einem Kranzerl bedacht, für die Kinder wird der Wipfelbaum zusammengebrochen, die Kreuze kommen später an die Gräber. Die schönsten Buschen aber, die werden im Haus zur Schau gestellt – als Zeichen für den wunderbar gelungenen Almsommer. Viel Zeit für Wehmut bleibt direkt nach der Ankunft im Tal allerdings nicht. Denn der geglückte Almabtrieb will ordentlich gefeiert werden. Und das ganze Dorf feiert mit.

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