Vom Leben auf der Alm – Teil 2

Ein Almsommer in den Chiemgauer Alpen

Sanft geschwungene Almwiesen, kühle Bergwälder und felsige Gipfel – im Laufe der Jahrhunderte ist in den Chiemgauer Alpen nicht nur eine einzigartige Natur-, sondern auch Kulturlandschaft entstanden. Noch heute prägt die Chiemgauer Alpen ein Miteinander von Mensch und Natur. Der Almsommer ist auch für Simon etwas ganz Besonderes. Er erzählt uns vom Leben in den Bergen, vom Sommer auf der Alm. Im zweiten Teil der Geschichte dreht sich alles um die Vorbereitungen für den Almabtrieb in den Chiemgauer Alpen.

Foto: Carina Pilz

Vorfreude auf den Almabtrieb

Der 15. August ist für die Almbauern im Chiemgau ein besonderer Tag. Mit dem Fest Maria Himmelfahrt beginnen auf den Almen nach altem Brauch die Vorbereitungen für den nahenden Almabtrieb in den Chiemgauer Alpen. Nur noch wenige Wochen bleiben die Kühe auf den kräuterreichen Bergweiden, ehe sie für den kalten Winter zurück ins Tal getrieben werden.

„So abgedroschen es klingen mag, aber: Vorfreude ist die schönste Freude.“ Simon bewirtschaftet mit seiner Familie die Vordere Dalsenalm in den Chiemgauer Alpen. Für die nächsten Wochen ist das Kranzen hier ein fester Bestandteil des Almlebens – und einer der schönsten dazu. Viele Tage und Abende verbringt Simon mit seinen Helfern beim Anfertigen des imposanten Kopfschmuckes auf der Alm. In geduldiger, mühevoller Handarbeit und mit viel Liebe zum Detail entstehen eindrucksvolle Kunstwerke, mit denen das Vieh am Ende eines gelungenen Almsommers den Weg zurück in die heimischen Ställe antritt.

Kranzen: Eindrucksvoller Kopfschmuck für den Almabtrieb

Während in anderen Regionen oft nur die Leitkuh aufwändig gekranzt wird, erhalten auf der Dalsenalm alle Tiere für den Almabtrieb einen farbenprächtigen Schmuck aus Almrausch, Latschenkiefer, bunten Bändern sowie Kränzen, Kreuzen und Larven. Vor allem der Almrausch, eine in kraftvollem Purpur blühende Alpenpflanze, ist für viele ein Inbegriff der alpinen Natur und so darf sie auch beim Almabtrieb nicht fehlen. Nach dem ‚Schowobrucka‘, dem mühseligen Pflücken des Almrausches, werden aus den kleinen Büscheln in unzähligen Stunden die wunderschönen Kränze und Kreuze gebunden. Besonders viel Mühe und Arbeit steckt in der Krone – das mit Abstand wichtigste und größte Schmuckstück, das zum Abtrieb das Haupt der Leitkuh krönt. Obligatorisch sind auch die verschieden klingenden Glocken, die jedem Tier umgehängt werden und – ebenso wie der Almschmuck – auf dem Weg hinunter vor bösen Geistern schützen sollen. Angelegt wird der majestätische Schmuck allerdings nur, wenn Herde und Sennleute die Zeit in den Bergen unbeschadet überstanden haben.

Seit Jahrhunderten steht die Almwirtschaft in den Chiemgauer Alpen für Familienzusammenhalt, Kultur und Tradition. Ohne die tatkräftige Unterstützung der Familie würde es auch auf dem Feichtnkaser der Vorderen Dalsenalm im Achental nicht gehen – schließlich hat Simon noch einen ganz normalen Beruf unten im Tal. Über die Jahre hinweg hat sich die heutige Aufgabenverteilung etabliert. Jeder hat seine Tätigkeiten, jeder hat seinen Platz. Nur weil alle zusammen helfen, kann der Almabtrieb auch heute noch so festlich begangen werden. Damit ist er einer der schönsten gelebten Bräuche im Alpenraum.

Eintauchen ins Almleben

Räsein für Räsein werden mit viel Fingerspitzengefühl kleine Kunstwerke geschaffen. Wochenlang wird gezupft, gezogen und gedrahtet, bis jedes einzelne Detail perfekt sitzt. „Ich finde, erst beim Kranzen kommst du wirklich oben an. Da wirst du eins mit dem puren Almleben. Wenn du vor der Hütte sitzt, neben dir der Bach rauscht und die Glocken klingen, du jedes Räsein einzeln bindest und dabei spürst, wie die Kälber die Nähe zur Hütten suchen, da tauchst du voll in dieses Leben ein. Das ist eine wunderschöne, meditative Tätigkeit – auch wenn brutal viel Arbeit dahinter steckt.“ Blüte für Blüte arbeitet Simon voller Vorfreude auf den für ihn wichtigsten Tag des Jahres hin – den Almabtrieb. „Oft sitzen wir auch zu siebt, zu acht bei Kaffee und Kuchen in der Almstuben und Seite an Seite entsteht etwas Großes. Tanten, Cousinen, selbst die Oma hilft mit. Das sind Tage, die du sonst nirgends hast. Die verbindest du mit so viel Glück, die erfüllen dich so mit Freude. Und das sind auch Tage, die die Leute zusammenbringen, an denen du eine starke Gemeinschaft spürst.“

So wie beim Kranzen sitzt man oft zusammen auf der Alm. Stunden, die für Simon das Besondere am Almsommer ausmachen. „Wenn man oben ist, auf der Alm, dann verhält man sich anders. Man hat dann plötzlich dieses Gefühl, dass bestimmte Dinge einfach dazugehören. Man legt auf alte Sachen, alte Bräuche wieder viel mehr Wert. Die Alm, die erinnert dich an das einfache Leben, an das Wenige, auf das es ankommt im Leben. Und das ist schön.“ Das Beisammensein, das ist so eine Sache. Denn die Zeit miteinander bekommt in den Bergen eine ganz andere Qualität. Sie ist wertvoller, intensiver, als die Zeit unten im Tal. „Auf der Alm, da ist es egal, wer du bist oder was du machst. Auf der Alm, da darfst du einfach nur du sein.“, weiß Simon. „Geschichten aus scheinbar längst vergangenen Zeiten, die ich mir als kleiner Bub von den Eltern, den Großeltern angehört habe, die erlebe ich da oben jetzt selbst, so wie damals. Das ist für mich das Almleben. Und das ist einfach einmalig.“

Wir erzählen euch Simons Geschichte in drei Teilen: Vom Almauftrieb in den Chiemgauer Alpen (Teil 1) über den Almsommer und die Vorbereitungen für den Almabtrieb (Teil 2) hinweg bis zum Almabtrieb in den Chiemgauer Alpen (Teil 3).

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