Vom Leben auf der Alm – Teil 1
Ein Almsommer in den Chiemgauer Alpen
Sanft geschwungene Almwiesen, kühle Bergwälder und felsige Gipfel – im Laufe der Jahrhunderte ist in den Chiemgauer Alpen nicht nur eine einzigartige Natur-, sondern auch Kulturlandschaft entstanden. Noch heute prägt die Chiemgauer Alpen ein Miteinander von Mensch und Natur. Der Almsommer ist auch für Simon etwas ganz Besonderes. Er erzählt uns vom Leben in den Bergen, vom Sommer auf der Alm. Im ersten Teil der Geschichte nimmt uns Simon mit zum Almauftrieb in den Chiemgauer Alpen.
Fotos: Carina Pilz
Almauftrieb in den Chiemgauer Alpen
Stockfinster ist es. Nur das Licht der Taschenlampen durchbricht das Dunkel der Nacht und läutet den Beginn eines aufregenden Tages ein. Gemeinsam mit seinen Treibern sucht Simon in der Morgendämmerung die Talweide nach den Tieren ab. Langsam wird es heller, immer mehr Kühe tauchen am Weidegatter auf. Ihre lauten blechernen Glocken schallen durch die klare Luft. Nach einer kleinen Weile sind schließlich alle beisammen. Es kann losgehen: hinauf auf die Alm.
Der Almsommer ist für Simon eine ganz große Leidenschaft. Schon als kleiner Bub hat er die Sommerferien oben verbracht. Eine Zeit, die ihn sehr geprägt hat. „Von klein auf war ich immer mit dabei. Das mit der Alm, den Viechern, das ist für mich etwas Einmaliges. Das lässt sich gar nicht richtig in Worte fassen“, wagt Simon einen Erklärungsversuch. „Da oben, das ist, wie wenn du in eine andere Welt gehst. Du lebst dort so ungeheuer naturverbunden, bist unheimlich viel mit den Viechern beinander, bist ab vom Schuss. Allein wenn ich mich vor die Hütte stelle, nach den Tieren rufe und die zu mir kommen, begleitet vom Läuten der Glocken, dieses Gefühl … das ist einzigartig.“ Der Almsommer ist für Simon die schönste Zeit im Jahr. Wer ihn trifft, spürt das sofort. „Natürlich gibt es da auch noch Weihnachten und Geburtstage“, lacht er, „aber der Almsommer, das ist einfach meins.“
Bräuche & Traditionen auf der Alm
Auch in den Chiemgauer Alpen ist der Almsommer mit vielen Bräuchen und Traditionen verbunden. Zum Almauftrieb auf die Vordere Dalsenalm, wo der Kaser von Simons Familie steht, gehört zum Beispiel das Glockengeläut dazu. Von der Schweizer Schelle bis hin zur schönsten Speisglocken werden die Tiere für den besonderen Tag mit schwerem Geläut geschmückt. Jede einzelne Glocke wird geputzt, eingefettet, geschmiert – alles muss perfekt sitzen. Und dann darf es endlich losgehen. Rund um die Alm sind die letzten Schneefelder geschmolzen, die Bergwiesen erblühen in frischem Grün und bieten ausreichend Futter. Schon seit Hunderten von Jahren werden in der Alpenregion die Tiere im Frühsommer vom Tal auf höher gelegene Weideflächen getrieben. Den Zeitpunkt des Auftriebs aber bestimmt nach wie vor die Natur.
Der Almsommer beginnt
Nach und nach trudeln die Treiber am Hof von Simons Eltern ein und stärken sich mit heißem Kaffee. „Wenn wir zum Auto gehen, einsteigen und zur Talweide fahren, werde ich richtig nervös“, gibt Simon zu. Und dann ist es so weit: „Wenn die Viecher beinand sind, wir über das Weiderost gehen und den Weg zur Alm antreten, dann ist das einfach pure Freude! Etwas Schöneres, das gibt es nicht.“ Die älteren Kühe wissen was kommt und gehen den Weg gemächlich an. Die jüngeren Tiere hingegen sind aufgeregt und machen Tempo. Alle zusammenzuhalten, das ist die Aufgabe der Treiber. Vom Schlechinger Ortsteil Raiten geht es in der Dämmerung auf der Bundesstraße nach Mühlau. Der schwerste Teil ist geschafft. Nun führt der Forstweg am Lauf des rauschenden Dalsenbachs entlang immer weiter hinauf. Vorbei am Floderer, dem sagenumwobenen Wasserfall, bis zum weitläufigen Almgebiet zwischen Kampenwand und Weitlahnerkopf auf rund 946 Metern. Gut sieben Kilometer Fußmarscham frühen Morgen haben Treiber und Tiere nun hinter sich. Schnell verteilen sich die Kühe rund um den Kaser und genießen das frische, kräuterreiche Gras, während es für Simon und seine Helfer ein leckeres Frühstück in der Almhütte gibt. Ein rundum gelungener Start. Nun hat sie endlich wieder begonnen, die besondere Zeit in den Bergen.
Zwischen Tradition & Moderne: Das Leben in den Bergen
Was für Simon am Almsommer eine so außergewöhnliche Faszination ausübt, ist der Kontrast in seinem Leben, denn Tradition und Moderne dürfen sich ergänzen. „Es ist toll, das man als durch und durch moderner Mensch trotzdem an so etwas festhalten darf. Dass man weiß, wo man hingehört, weiß, wo man daheim ist und was im Leben wirklich wichtig ist.“ Die Alm, das Leben mit der Natur, mit den Viechern, mit den Traditionen, das erdet. „Da kann an einem Tag noch so viel passieren, wenn du oben auf der Alm bist, dann ist es einfach gut. Da fällt jede Last ab. Da sitzt du vor der Hütten, schaust stur in die Welt hinein. Und dann gibt es diese besonderen Momente, da denkst du an nichts, da hast du einfach einen freien Geist. Und spätestens da weiß ich wieder: Genau hier, da ist mein Platz auf dieser Welt.“
Wir erzählen euch Simons Geschichte in drei Teilen: Vom Almauftrieb in den Chiemgauer Alpen (Teil 1) über den Almsommer und die Vorbereitungen für den Almabtrieb (Teil 2) hinweg bis zum Almabtrieb in den Chiemgauer Alpen (Teil 3).